Hallo Ullrich,

ich verstehe Deine Aufregung bezüglich Rasseeigenschaften nicht ganz. Natürlich ist jeder Hund ein Individuum und es liegt nicht zuletzt an seinem Halter, welche Eigenschaften dieses Individuum durch gezielte Förderung besonders ausprägt. Aber wie Jambear schon gesagt hat, Hunde wurden schon immer auf bestimmte Eigenschaften, auch was das Wesen betrifft, selektiert. Ein gutes Beispiel, wie sich bestimmte Eigenschaften durch lange Selektion manifestieren, ist z.B. ein Bordercollie, selbst dann, wenn er nie als Hütehund geführt wurde. Kein Mensch, der diese Hunde beobachtet, würde behaupten, dass sie sich genauso verhalten wie z.B. ein Rauhaardackel.

Der RR wurde als Jagdhund und ruhiger Beschützer der menschlichen Behausung, der Farm etc. gezüchtet. Dies macht sich bei den meisten RRs durchaus deutlich bemerkbar.

Wer sich einen Hund wünscht, der ohne große Arbeit und Förderung freudestrahlend auf jeden unbekannten Besucher zurennt und sich von Fremden stundenlang gerne herzen lässt, der ist mit einem RR evtl. nicht so gut beraten. Natürlich gibt es auch RRs, die einfach jeden sofort lieben und natürlich kann ein Hund solches Verhalten auch erlernen, wenn man es entsprechend positiv fördert. Aber von den Anlagen her gehören RRs zu den Rassen, die im großen Schnitt tendenziell eher uninteressiert an den Liebesbezeugungen fremder Menschen sind.

Ich erlebe es in der Nottiervermittlung immer wieder, dass bestimmte Rassen, wie RRs, Windhunde, Herdenschutzhunde u.a. einfach länger brauchen, um mit fremden Personen "warm zu werden", als das bei anderen Rassen der Fall ist. Dies auch dann, wenn die Tiere noch keine schlechten Erfahrungen gesammelt haben. Die Leute kommen dann enttäuscht vom Probespaziergang zurück und berichten "naja, er ist zwar ohne Widerstand mitgegangen, aber der Funke ist von seiner Seite her nicht so richtig übergesprungen". Diese Aussage höre ich bei bestimmten Rassen immer wieder und das ist KEIN Zufall.

Genauso verhält es sich mit der Motivation beim Training. Es ist Fakt, dass es Rassen gibt, die sich durch entsprechende Selektion z.B. besonders gut über den Beutetrieb, der auf Gegenstände wie einen Ball, eine Beißwurst oder sonstwas gelenkt wurde, motivieren lassen. Genauso, wie es seinen Grund hat, dass die meisten Retriever fast alles tun, damit man ihnen endlich zum hundersten mal das Stöckchen wegwirft.
RRs wurden dahingehend selektiert, möglichst selbständig ihre jagdlichen Eigenschaften zu erfüllen. Das bringt mit sich, dass er es uns Menschen deutlich schwerer macht, den entsprechenden Motivator für sie zu finden.

Wenn ich einem Schäferhund begegne, der in Perfektion "Fuß", "Bleib", "Voraus", weiß der Geier was noch, beherrscht, so erkenne ich den Fleiß des Hundeführers, der dahinter steht, zwar an, doch über seine besonderen Fähigkeiten als Trainer sagt es nicht wirklich viel aus. Mit einem Bällchen in der Jackentasche ist das bei dem Durchschnittsschäferhund keine hohe Kunst. Treffe ich einen RR, der dies alles ebenso begeistert und freudig ausführt, kann ich im Schnitt darauf schließen, dass ich einen Hundeführer vor mir habe, der neben Fleiß auch sehr gute Fähigkeiten in Bezug auf Motivation, Lernabläufe und Kreativität beim Training aufweisen kann.

Auch Du hast für Deine Hunde Beschäftigungen gewählt, die einem RR in der Regel von seinen Eigenschaften her gut liegen. Ob sie z.B. an Hundefrisbee genau soviel Spaß hätten, wage ich zu bezweifeln.

Individuum hin oder her, rassespezifische Eigenschaften lassen sich nicht leugnen und sollten bei der Wahl des eigenen Hundes zumindest dann in Betracht gezogen werden, wenn man bestimmte Vorstellungen davon hat, was man mit seinem Hund später unternehmen möchte.
Aus genannten Gründen ist ein RR nichts für einfallslose Leute, die sich einen bequemen Hund wünschen, davon bin ich überzeugt, genauso wenig, wie ein Boxer etwas für einen aktiven Jäger ist oder ein Windhund für jemanden, der sich einen Schutzhund wünscht.

Etwas unstimmig finde ich, dass Du keinen Anstoß daran genommen hast, dass dem RR eine gehörige Portion Jagdtrieb zugesprochen wurde. Auch dies gehört zu den RR-typsichen Eigenschaften, denn er ist nun mal ein Jagdhund und ich glaube nicht, dass Du diese Eigenschaft abstreiten würdest. Ich kenne keinen RR-Besitzer, bei dem die Eigenschaft Jagdtrieb nicht irgendwann ein Thema gewesen ist. Das RR-Individuum musst Du mir aber erst mal zeigen, welches von seinem Besitzer in diesem Punkt keine kreativen und anstrengenden Problemlösungen fordert.

Liebe Grüße
Conny