Manchmal ist es förderlich, vor so weitreichenden Entscheidungen wie der Anschaffung von Hunden die Fantasie spielen zu lassen.
Ja, klar - das macht man ja, sonst würde der Wunsch nicht entstehen. Da sieht man sich im Geiste entspannt im Abendlicht mit dem Hund zwischen den Getreidefeldern laufen, man riecht förmlich den Geruch des Waldes, durch den einen der lange Vormittagsspaziergang führt... Man sieht sich auf der Grillparty bei Freunden, die den wohlerzogenen schönen Hund bewundern, der da brav auf seiner Decke liegt und sein Frauchen anbetet.
Sehr schön, ohne jeden Zweifel. Fantasie geht aber auch anders...
Nehmen wir mal den Abendspaziergang zwischen Getreidefeldern. Kind 1 und Kind 2 sind zu klein zum allein lassen, beim Lg wird es mal wieder später. Also Kind 1 in den Buggy, Kind 2 soll gefälligst laufen. Leider hat Kind 2 so gar keine Lust (sehr stimmungsfördernd und entspannt). Junghund hibbelt schon und will endlich raus, weil der schöne große Garten auf Dauer langweilig ist. Kinder gepackt, Hund angeleint... Nein, der Junghund läuft leider nicht ohne Leine durch die Felder, weil er mehr Spaß an Hasen und Joggern hat als an Frauchen. Dem Hund geht es zu langsam, Kind 2 zu schnell. Und da kommt auch noch Nachbar Müller von zwei Straßen weiter mit dem Labbi-Rüden, den unser Hund nun mal so gar nicht ausstehen kann. Kind 1 mit Buggy schnell seitlich geparkt und Kind 2 ins Gerstenfeld gekickt, weil jetzt gleich das Riesengepöbel losgeht, 40 kg Junghund ins Geschirr knallen und man nicht großräumig ausweichen kann. Sehr entspannt...
Auch der Schein der Grillparty trügt. Das, was der Hund da so anbetet, ist nicht Frauchen. Das ist das Grillgut. Auf der Decke liegt der Hund zwar, aber nur, weil er angeleint ist. Sonst könnte man ihn nämlich absolut keine Sekunde aus den Augen lassen. Man sitzt auch den ganzen Abend bisserl angespannt auf dem Stuhl, an dem die Leine hängt - wohlwissend, dass ein Sprung des Hundes reicht, einen fliegen zu lassen... Blöderweise kloppt sich Kind 2 auch gerade mit dem Kind des Gastgebers - man müsste da hin und kann wegen dem Hund aber nicht aufstehen, sonst hängt der mitsamt Stuhl am Grill. Und Lg ist leider grad in ein wichtiges Automobilgespräch vertieft.
Nur zwei schwarzgemalte Szenen aus dem Alltag. Man kann hundert kreieren - und die noch wesentlich schwärzer. Es gibt sie durchaus, die RRs, mit denen man entspannt und leinenlos im Abendlicht laufen kann und die artig auf Grillpartys dekorativ auf ihrer Decke liegen. So kommen sie in der Regel aber nicht aus der Wurfkiste und je nach Exemplar ist der Weg zum wohlerzogenen RR ein langer und steiniger - und auch ein zeitintensiver, konzentrationsfordernder und nervenraubender. Der Ruf des spätreifen Hundes hat seine Berechtigung. Und der ihnen nachgesagte Stolz und die Selbständigkeit können zur Last werden.
Ich will den RR nicht madig machen - ich wünsch mir nur bei allem Wünschen einen realistischen und kritischen Blick. Jeder hat das Recht auf einen RR - der RR hat aber auch ein Recht darauf, dass man ihm gerecht wird.
LG
Susanne
P.S.: Es soll angeblich auch Exemplare geben, die ganz pflegeleichte Mitläufer mit null Erziehungsaufwand sind. Ich hab leider noch kein solches getroffen und schieb das mal in die gleiche Schublade, in der auch das Ungeheur von Loch Ness und der Yeti liegen.


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