Verhalten und Biologie sind eng miteinander verknüpft. Ein Hund beispielsweise, der in der Pubertät ist, kann willentlich, und selbst wenn er noch so gern seinem Menschen "gehorchen" möchte, nicht gegen bestimmte, biologisch bedingte Veränderungen, die sich auf sein Verhalten auswirken, angehen.
Ein besonders gutes Beispiel für die Verknüpfung von Verhalten/Biologie liefern Angst/Stresskaskaden. Ohne hier jetzt allzu sehr ins Detail gehen zu wollen, wird dabei das "Amygdala-System" aktiviert. Es kommt zur Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter, die beispielsweise in der Lage sind, den Präfrontalkortex, also den Teil des Gehirns, der grob vereinfacht für Lernen und höhere Denkprozesse sowie - und das ist gerade hinsichtlich einer Situation, wie man sie in Ausstellungen vorfindet, von hoher Relevanz - für Reaktionshemmung und Impulskontrolle zuständig ist, auszuschalten.
Auch ein Hund ist kein Roboter. Er unterliegt, wie jedes Lebewesen, einem dynamischen Prozess, der sich im Spannungsfeld Umwelt und Biologie abspielt. Als Wesen mit einem Geruchssinn, der beispielsweise fähig ist zu differenzieren, ob Du gerade schwanger, gesund, krank, empfängnisbereit, ängstlich, entspannt (...) bist, und das darauf reagiert, ist er in einem Umfeld, in dem Anspannung, Erwartungsdruck, und räumliche Enge vorherrschen, einigermassen vulnerabel. Er lebt zudem in einer engen sozialen Beziehung zu seinen Menschen, die ihrerseits ebenfalls vulnerabel und längst nicht jeden Tag gleich gestimmt sind, und selbst auch Prozessen unterliegen, die sich willentlich nicht steuern lassen.
Ist das genug Biologie für Dich, oder brauchst Du weitere Beispiele für das riesige Feld möglicher Reziprozitäten?
Und, denkst Du, ein Hund würde sich freiwillig in eine Situation begeben, in der er im geschlossenen Raum und einem nicht zu unterschätzenden Kontrollverlust dank Bewegungseinschränkung auf Artfremde und Artgenossen, die jedoch mehrheitlich nicht seinem Sozialverband angehören, trifft?Hunde befinden sich ständig in Situationen, die für uns Menschen wohl die Bezeichnung "olfaktorischer Overkill" verdient hätten. Aus Primatensicht![]()
Du zäumst das Pferd imho argumentativ von hinten auf. Du erwartest, dass der Hund sich in einer Situation "vernünftig" verhält, die für ihn nicht nur sinnlos ist, sondern potentiell gefährlich, und leitest daraus generalisierend eine "Eignung" ab.
Ich wusste gar nicht, dass wir oder unsere Hunde sich aussuchen können, welches Programm im Organismus gerade läuft, oder eine Wahl haben, ob wir das, was gerade biologisch läuft, empfinden können.Dass sie selbst es so empfinden bzw. durch "biologische Zusammenhänge" empfinden müssen, wage ich zu bezweifeln. Warum sollte das gesellige Familientier Hund, welches darüber hinaus einen Geruchssinn besitzt, der enorm leistungsfähig ist, filtern kann und konditionierbar ist, nicht in der Lage sein, die Nähe und Gesellschaft vieler freundlich oder neutral gesinnter Artgenossen zu ertragen? Oder dies im richtigen Alter ohne Zwang zu lernen?
Wenn Du beispielsweise in einen Unfall verwickelt wirst, kann es sein, dass Du in einen für Dich willentlich absolut nicht kontrollierbaren Zustand gerätst, in dem Du, obwohl Du ganz genau "weisst", dass Du das besser nicht tun solltest, den Unfallort verlässt. Das kann dazu führen, dass Du auf die Autobahn läufst und dabei stirbst. Es kann dazu führen, dass Du kopflos über die grüne Wiese davon läufst, oder sogar wegfährst, wenn Dein Auto dazu noch taugt. Später wird das dann dazu führen, dass man Dich möglicherweise und in Unkenntnis solcher biologischer Zusammenhänge der Fahrerflucht verdächtigt. Und das, obwohl Du im Moment des Geschehens mit einiger Wahrscheinlichkeit gar nichts dafür kannst. Das "Amygdala-System" hat Deinen Kortex, und damit all die tollen erlernten Dinge, lahm gelegt. Angriff, Erstarrung, oder eben Flucht, mehr ist dann nicht. Unter Umständen hast Du zusätzlich keinerlei Erinnerung an das Geschehen.
Ich finde es vermessen, von einem Hund zu erwarten, und es dann auch noch als Gütezeichen zu werten, dass er in für ihn widernatürlichen, auferzwungenen Situationen, die ihn ihm, je nach eigener Verfassung und Umweltgeschehen, durchaus Vergleichbares triggern können, verlässlich und gleichbleibend "gelassen" bleibt, insbesondere dann, wenn ich mir das Alter der Hunde vor Augen führe, die da im wahrsten Sinne vorgeführt werden. Wir erinnern uns: gerade grosse Rassen sind häufig Langsamentwickler, und sind, wenn sie präsentiert werden, häufig mitten in der Pubertät, die bereits in sich einen Ausnahmezustand für den Organismus und seinen Hirnstoffwechsel darstellt.
Richtig. Wie dumm von mir! Mensch ist ein Roboter, und hat sich diesbezüglich natürlich immer völlig im Griff.Und hier kommt der "Primat" ins Spiel. Der ist nämlich gefordert, seinen Hund in der Weise zu begleiten, die es diesem erleichtert, die Umgebung auf einer Ausstellung als angenehm und keineswegs bedrohlich zu empfinden. Geht der Mensch mit Zwang, Achtlosigkeit, Hast, Ehrgeiz und/oder eigenen Befürchtungen zu Werke, die ein bestimmtes negatives Ergebnis schon voraussetzen, dann wird das nix.
Frau Dr. Feddersen-Petersen schreibt zum Thema Stress u.a.:
Als Mensch habe ich sowohl mir als auch meinen Hunden gegenüber eine Sorgfaltspflicht: Ich muss beobachten und bewerten, wie es mir und den Tieren, für die ich verantwortlich bin, gerade (Momentaufnahme, da dynamisch) geht. Ich darf nicht davon ausgehen, dass das, was vor zwei Monaten gut lief, auch notwendigerweise morgen so funktioniert, denn ich lebe in einer veränderlichen Umwelt und einem veränderlichen Organismus.Es sei betont, dass letztendlich nicht so sehr der Stressabbau, vielmehr eine Stressprophylaxe das Ziel sein sollte, denn nicht jede Belastung wird als Stress bezeichnet (...). Was allerdings für ein Individuum nun durchaus positiv sein kann, wird von einem anderen als Belastung empfunden. Die Bewertungen variieren bei Menschen wie bei Hunden. Diese nun können uns nichts über ihre subjektiven Empfindungen aussagen, aber ihr individuell unterschiedliches Verhalten, ihre Vorlieben wie Abneigungen verdeutlichen auch bei ihnen diese Variabilität. (Quelle: Hundepsychologie/Dr. Doris Urd Feddersen-Petersen, Kosmos, S. 349 ff)
Verallgemeinernde Aussagen sind daher meines Erachtens eher Kennzeichen eines Menschen, der sich wenig Gedanken um tatsächlichen Bedürfnisse der ihm anvertrauten Hunde macht, weil für ihn andere Dinger höher rangieren.
Dafür darf er sich gern entscheiden. Aber er soll mir bitte nicht damit kommen, dass er das zum Wohle des Hundes tut, und sich daraus tatsächlich relevante Aussagen hinsichtlich einer Zuchttauglichkeit / Charakterfestigkeit ableiten lassen.
Ich beanspruche nicht für mich, dass sich jemand meiner Sicht anschliesst, und möchte auch niemanden überzeugen. Ich reklamiere für mich nur die Freiheit sagen zu dürfen: Mumpitz. Und exakt das tue ich.
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