Liebe Nina,
das ist nicht nur "Schnee von gestern", sondern diese Interpretation war bereits gestern falsch. Ich weiss ja, dass auf manchen Züchterseiten steht, dass die Welpen "auf Staubsauger und Autofahren" geprägt werden, aber davon wird es auch nicht nicht richtiger von "Prägung" bei Hunden zu sprechen.
Echte Prägung bezieht sich auf das schnelle, unwiderrufliche Lernen von Verhaltenreaktionen, die meist im Zusammenhang mit Fortpflanzung stehen: Das Erkennen von Artgenossen gehört zum Beispiel dazu, die berühmte Nachfolgeprägung der Graugänse, sexuelle Prägung, Gesangsprägung. Staubsauger und Autos wohl eher nicht ;).
Echtes Prägungslernen gibt es nur bei Vögeln, die Verhaltensprogramme von Säugetieren sind flexibler.
Was wir bislang von Hunden kennen, ist eine sensible Phase des Lernens und der Gewöhnung. Während dieser Phase lernt ein Welpe besonders schnell und nachhaltig ... alles. Also auch Negatives. Ich halte es für einen großen Fehler, Welpen in einem Sozialisierungsmarathon von A über C bis nach Z zu schleifen, ohne Rücksicht darauf, ob er nun überwiegend gute Erfahrungen macht oder mit schlechten allein gelassen wird.
Während der sensiblen Phase haben Umweltfaktoren einen größeren und nachhaltigeren Einfluss auf die Entwicklung der emotionalen Grundlagen von Verhalten als Erfahrungen, die später gemacht werden. Während der sensiblen Phase lernt ein Welpe, was er von der Umwelt erwarten und wie er darauf reagieren kann. Daraus resultiert das Gefühl der Bewältigungsfähigkeit, welches unabdingbar ist für einen positiven emotionalen Zustand im Umgang mit der Umwelt.
Sozialisation reicht weit über die sensible Phase der Welpenentwicklung hinaus. Eine Studie aus Großbritannien an über 800 Hunden zeigt deutlich, dass die Entwicklung problematischen Verhaltens sowohl vom Umfeld während der sensiblen Phase als auch vom Umfeld nach dieser Phase abhängig ist. Problemverhalten, welches in dieser Studie berücksichtigt worden ist: Angst vor fremden Menschen, Angst vor fremden Hunden, Aggressives Verhalten gegenüber fremden Menschen und aggressives Verhalten gegenüber fremden Hunden. Welpen, die in einem belebten Bereich eines Haushalts aufgezogen werden, haben die besten Startbedingungen für ihr weiteres Leben. Hier kann man gut erkennen, dass Hausaufzucht nicht gleich Hausaufzucht ist. Ein isoliertes Welpenzimmer oder ein sehr ruhiger Haushalt bieten nicht annähernd den Effekt wie ein turbulenter Haushalt mit den Welpen mittendrin. Doch auch bei optimalen Startbedingungen ist entscheidend: Nur Hunde, die sich vom 3. bis mindestens 6. Lebensmonat regelmäßig, häufig und wiederholt mit den Reizen eines geschäftigen städtischen Bereichs auseinandersetzen können, entwickeln deutlich weniger Verhaltensprobleme als Hunde, die reizärmer aufwachsen - unabhängig von den Aufzuchtbedingungen. Manche Hunde benötigen diese Sozialisation länger als bis zum 6. Lebensmonat, die so genannten spätreifen Hundetypen sollten bewusst bis zum 12. Monat regelmäßig, häufig und wiederholt mit den Reizen eines geschäftigen städtischen Bereichs konfrontiert werden. Diese Erfahrungen werden aber nur dann in unserem Sinne wirksam sein, wenn die Bezugsperson des Hundes dafür sorgt, dass der Hund alle Konflikte, die während dieser Ausflüge auftreten, positiv und mit erwünschtem Verhalten lösen kann.
Die Sache mit der Geräuschempfindlichkeit verhält sich nochmals anders. Jeder Reiz, der plötzlich oder in einer ungewohnten Stärke auftritt, kann Angst auslösen. Wir nennen das unkonditionierte Angst. Sie ist angeboren und tritt auch ohne vorhergehende schlechte Erfahrung auf.
Selbst wenn ein Welpe äusserlich keine Reaktionen auf Knallgeräusche zeigte, kann sich das während der Jugendentwicklung ändern. Hormonelle und neurobiologische Veränderungen machen den Hund sensibler, so dass er "über Nacht" auf Reize reagiert, die er bereits kennt und auf die er noch nie reagiert hatte.
Danke für die gute und wichtige Frage!
Liebe Grüße,
Ute BB mit Ashanti, Scotty und Linux. Baru, Bansai und nun auch Rex begleiten uns auf der anderen Seite des Weges.


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