Es gibt die RR, die mit dem Jagen nix am Hut haben. Es gibt die, die vornehmlich auf Sichtreize reagieren (das ist meiner Erfahrung nach der höchste Prozentsatz). Die gucken wie die Weltmeister auf jedes flatternde Blatt und hängen weniger am Boden fest. Mit denen geht das auch ganz gut, man muss halt lernen, schneller zu schauen und sich gegebenenfalls auch eine bessere Brille zu besorgen. Sicht und Click lässt sich gut trainieren. Und dann gibt es halt die, die mit der Nase am Boden festkleben und auch per Nase gezielt stöbern gehen. Da hinkst du sinnesmäßig komplett hinterher und kannst kaum vorher oder zumindest momentadäquat einwirken. Uns haben die Schweißfährten im Team auch das gebracht, dass ich Rose schon im Schnüffeln viel besser lesen konnte. Ich konnte irgendwann im Normallaufen in den Feldern und Wäldern über die Biegung ihres oberen Augenbogens lesen. Ich empfand das als normal, Mitläufer fanden das total strange...
Darüber könnte man endlose Abhandlungen schreiben, aber das ist hier ja nicht Thema, wir können uns da aber gerne anderwertig austauschen, wenn du magst. Das eigentliche Thema ist ja die Motivation. Auch mit dem fünften RR stand ich wieder da wie mit dem ersten, alle fünf waren so unterschiedlich. Für Buki, meinen wunderbaren Lehrmeister, war Mantrailen das allerhöchste, gleich danach kamen Treffen mit Hundekumpels, dicht gefolgt von "jeden Grashalm mit der Hundezeitung zu Tode riechen". Für Rose war Wild, aber kontrolliert dann halt Schweißfährte das wichtigste. Und Kuscheln - sie hatte auch den Kosenamen Frau Pattex. In meinem Nigi steckt ein Labbi - 95% will to please, Baumstammklettern ist toll, einfach in der Natur rumlaufen ist toll, Sitz-Platz-Salto rückwärts ist toll, ein "Stop" ist ehernes Gesetz und auch toll. Hauptsache, mit Frauchen zusammen. Sein kleiner Bruder Jazi war wieder ganz anders. Ein Freigeist vor dem Herrn, der schon als Welpe keine räumlichen Grenzen akzeptierte. Den musste man nicht langsam und sicherheitsgewinnend an die Welt heranführen, der stand mit 10 Wochen mittendrin und blickte als König auf sein Reich. Er hat gar kein Entertainement gebraucht, er fand Leben auf völlig unkomplizierte Art einfach nur geil. Unser Programm, mit dem wir beide glücklich waren, bestand einfach nur darin, ihn ein wenig Freigeist bleiben zu lassen und trotzdem eine innige Bindung und Kontrolle aufzubauen. Er war eine Schatzkiste der ganz besonderen Art. Daddi, liebevoll auch Herr Asperger genannt, hat mit allem Spaß, solange das für ihn einordenbar bleibt. Mit Wild kann er auch mit knapp 18 Monaten gar nix anfangen. Er ist schon ein Nasentier, er hat Ausdauer beim Leckersuchen und sein Allerliebstes ist, wenn wir in der Kiesgrube umme Ecke sind. Man nehme einen Stein und werfe ihn zwischen die Abermillionen anderer Steine. Dann rast er los und zeigt dir genau den einen Stein, den du beim Werfen natürlich im Auge behalten hast, sonst wärst du ja chancenlos. Das könnte er jeden Tag mindestens drei Stunden lang machen. Total RR-untypisch und für den Halter unsagbar öde und auf Dauer auch nicht gut (deshalb ist das reduziert), aber es ist halt mein Daddeli.
Mit den Ausführungen will ich sagen, dass sie trotz aller Rassebeschreibung halt nicht vom Fließband kommen. Es ist wirklich wichtig, sich vor der ersten Anschaffung schon über die Rasse mit den möglichen Potentialen gründlich zu informieren, damit die rosa Brille nicht zu Schaden des Hundes zu Bruch geht. Ich finde es abartig gruselig, wenn 12 Wochen alte Welpen zu den Züchtern zurückgehen, weil die wild und groß sind und auch noch spitze Zähne haben. Hey? Das gehört dazu! Mich dauert es immer, wenn (vornehmlich Rüden) im Alter zwischen 12 und 36 Monaten als Nothunde weitergegeben werden sollen. Kann man die Zeit nicht gemeinsam durchstehen und sich den tollsten Freund seines Lebens selbst auch bisserl mit Empathie und Einfühlung erarbeiten?
Meine RR waren und sind alle RR, aber in erster Linie waren und sind sie unglaubliche Persönlichkeiten. Beizeiten sehr willensstark. Jeder hatte was aus den Rassebeschreibungen, aber keiner hatte alles. Ich war aber immer auf alles vorbereitet. Jeder hatte wesensmäßig einen Ausschnitt, aber nie einer alles. Mir hat es über die Jahre einen unglaublichen Gewinn gebracht, mich immer wieder neu auf unseren Jüngsten einzustellen, zu beobachten, wie er sich individuell entwickelt und ihn dabei ebenso individuell zu unterstützen. RR lehren einen, dass der Teller keinen Rand hat.
Liebe Grüße
Susanne


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